Schneckentempo und das Geschenk der Entschleunigung.
Boah! Geht das mal wieder langsam. Die Autos schleichen, die Schlange an der Kasse wird nicht kürzer und bis ich eine Antwort auf meine Mail erhalte, dauert gefühlt eine ganze Woche. Dabei habe ich sie gerade mal vor einer halben Stunde abgeschickt.
Kennst du das? Diese Tage, wo alles langsamer zu gehen scheint? Dann sind Geduld und Achtsamkeit gefragt. Wenn wir die nicht haben, dann macht sich umso schneller mal Unzufriedenheit breit. Nichts scheint „richtig“ zu funktionieren. Und obwohl uns alles zu langsam geht, meinen wir, dass uns die Zeit davonläuft. Wir nörgeln, rennen gegen Mauern, oft unsere eigenen Widerstände, und drehen die eine oder andere Warteschleife in Projekten auf der Arbeit oder privat. Hilfreich ist so ein Gefühl der Unzufriedenheit nicht gerade. Es zieht noch mehr Aufmerksamkeit auf das, was uns eh schon nervt und in unserem Erleben fehlerhaft ist.
Ein chinesisches Sprichwort sagt: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“ Wie wahr. Was wäre, wenn wir uns in Geduld üben würden? Wenn wir akzeptieren, dass dies oder das gerade anders läuft als erwartet. Vielleicht braucht es noch ein wenig Zeit und wir erhalten gerade das Geschenk zu entschleunigen.
Ein Beispiel vom letzten Sonntag. Ich fahre morgens mit dem Auto zu meinem 2. Seminartag „Einführung in MBSR“ und bin richtig guter Laune. Ich biege links in eine Straße und mein Gemütszustand ändert sich sofort. Vor mir rollt in aller Ruhe ein SUV-Fahrzeug auf der Straße entlang. Und ich meine wirklich rollen.
Erster Gedanke: blödes SUV, das sind diese viel zu breiten und Kraftstoff schlürfenden Karren, die in der Stadt echt überflüssig sind.
Zweiter Gedanke: Willkommen Bewertung. Ich habe sofort eine Meinung über dieses Auto und aller Wahrscheinlichkeit nach auch über dessen Fahrer*in. Also loslassen, es ist ja nur ein Fahrzeug.
Dritter Gedanke: Mensch bist du langsam!
Vierter Gedanke: Fehlt nur noch, dass du jetzt mitten auf der Straße stehen bleibst und hier parkst. Du bist soooo rücksichtslos.
Fünfter Gedanke: Mach Dich nicht so verdammt breit hier. Die Straße ist groß genug für uns beide. Du brauchst nur etwas mehr rechts fahren. Bitte (vielleicht habe ich diesen Teil auch ausgelassen…) lass mich vorbei.
STOP! Was geht denn da in meinem Kopf ab? Kurz, bevor ich die Hand auf die Hupe lege, registriere ich, wie ich mich da in etwas rein denke, was meinen Puls höher schlagen lässt und mir echt schlechte Laune macht. Völlig unnötig. Ja, mein Ego möchte Selbstbestimmung und im eigenen Tempo diese Straße entlangfahren. Ja, ich habe auch einen Termin zu erreichen. Aber mal ehrlich, ich bin früh dran und darf Zeit verlieren. Es ist ja keine Straßensperre.
Beim genaueren Hinsehen auf das Nummernschild lese ich ein „K“. Wahrscheinlich kennt sich der Fahrer/die Fahrerin gar nicht in dieser Gegend aus. Ich lasse jetzt meine Empathie zu und sofort entspannt sich mein System. Ich merke, wie die Schultern sinken und meine Gedanken sich beruhigen. Ach ja, die Sonne scheint. Das hatte ich vorher gar nicht bemerkt. Ich lehne mich entspannt zurück in den Sitz und sehe zu, wie das Auto dann doch noch an die Seite gelenkt wird. Jetzt kann ich vorbei.
Dann habe ich mir eine extra Aufgabe gestellt. Wie wäre es, wenn ich von hier bis zum Seminarort mal mit 45-50 km/h fahre und auch Ampeln nicht mehr bei Gelb überfahre? Das war eine sehr entspannende Erfahrung. Eine Viertelstunde später und mit einem Lächeln um die Lippen bin ich dann immer noch sehr pünktlich angekommen.
Ich behaupte, wir haben es sehr oft in der Hand, wie wir bei einem Termin ankommen. Und zwar nicht nur durch gutes Zeitmanagement. Gerade, wenn wichtige Sachen anstehen, achte auf deine Gedanken. Sie rufen weitere Reaktionen in dir hervor.
Mit Achtsamkeit verhinderst du nicht Gedanken oder Gefühle, sondern du BEMERKST, was ist.
Erst, wenn das geschieht, kannst du eingreifen und eine andere Richtung vorgeben.
Ein anderer, wie ich finde, wichtiger Aspekt ist, ob das im Alltag erlebte Tempo zu einem passt. Oder ist das etwas, was unsere Umgebung vorgibt und wir einfach so mitgehen, weil wir denken, es muss so sein? Spüre immer mal wieder über den Tag in dich rein, ob die Taktung für dich passt. Vielleicht brauchst du gerade etwas anders. Oft ist es ein langsameres Tempo oder eine Pause zwischen zwei Situationen. Jedenfalls etwas, was dich zufrieden sein lässt. Denn Zufriedenheit schenkt uns oft sehr viel Geduld auch in anderen Situationen.
Manchmal ein Schneckentempo hinzulegen kann da sehr hilfreich sein 🙂
Zeiten für deine Entschleunigung findest du hier: https://gabrielavoss.de/termine/