Gabriela Voss, Grenzen setzen, Stopp sagen, Selbstfürsorge, Bedürnisse achten

Klare Grenzen kommunizieren

(Lesedauer ca. 5-6 Minuten)

„Ich kann mich schlecht abgrenzen“. Das war einer der häufigsten Sätze, die ich in meinen letzten Seminaren gehört hab. Ich guckte in eine Menge Gesichter, die sehr müde aussahen. Auch mal „Nein“ sagen zu können, ist für viele Menschen gar nicht so leicht. Und so landen immer mehr Aufgaben auf ihrem Tisch, die dort nicht hingehören. Das behindert die eigentliche Arbeit und sorgt für noch mehr Frustration.

Also haben wir Grenzen setzen geübt. Eine reale Situation aus der Arbeitswelt der Teilnehmenden, die nicht öffentlich benannt werden musste und ein/e Stellvertreter/in der/die sofort Feedback gibt, ob die Botschaft angekommen ist oder man einfach weitermachen würde wie bisher mit seinem übergriffigen Verhalten.

Gap zwischen Theorie und Praxis

Um Grenzen theoretisch zu wissen, ist eine Sache, sie dann zu kommunizieren, doch eine andere Nummer. Dabei ist jedes „Nein“ zu etwas anderem ein „Ja“ zu dir. Du sorgst für deine Bedürfnisse. Das kann der Wunsch nach einer Stunde „Silent Work“ sein, das Bedürfnis nach Erfolg feiern, aber dafür müsstest du die Gelegenheit bekommen, dein Projekt abschließen zu können, das Bedürfnis nach Überblick, und dass braucht Zeit, um sich einzulesen in die Materie oder das Bedürfnis nach Pause, damit du durchatmen kannst und anschließend wieder mit voller Kraft zur Verfügung stehst. 

Ein weichgespültes „Nein“ wird nicht gehört. Eine klare innere Haltung schon. Selfleader wissen, wo sie lang wollen und wie sie dorthin gelangen.


Dont´s – so perlt dein „Nein“ ab

  • Du formulierst unklar und nutzt das Wort „eigentlich“.
  • Du erklärst und rechtfertigst dich umfangreich.
  • Du sprichst leise oder vernuschelst dein Anliegen.
  • Deine innere Haltung ist eher von Sorge geprägt „Wie sag ich´s nur?“ oder „Welche Konsequenzen wird das für mich haben?“ als von Durchsetzungsstärke.

Das waren die Learnings der Teilnehmenden:

  • Eine innere Haltung von „Ich setze mich für mich ein.“ ist unterstützend.
  • Vorher mit sich selbst klären, was genau erreicht werden soll.
  • Wenige Worte sind oft schon ausreichend.
  • Grenzen zu setzen kann sich auch gut anfühlen.

Wie ist das bei dir? Hast du auch manchmal Probleme, deine Grenzen klar zu kommunizieren? Wie stehst du für deine Belange ein?

Warum fällt es uns so schwer, „Nein“ zu sagen?

Die Schwierigkeit, sich abzugrenzen, hat oft tiefe psychologische Wurzeln. In vielen Fällen beginnt es bereits in der Kindheit: Als Kinder lernen wir, dass Kooperation und Hilfsbereitschaft sozial belohnt werden. „Sei nett zu anderen“ ist eine der ersten moralischen Lektionen, die uns beigebracht werden. Grundsätzlich keine schlechte Idee für das Leben in Gemeinschaften, allerdings kann diese frühe Prägung auch dazu führen, dass wir Ablehnung mit einem Gefühl von Schuld verbinden.

Die Evolution grätscht uns rein

Hinzu kommt unsere evolutionsbiologische Veranlagung als soziale Wesen. Für unsere Vorfahren war die Zugehörigkeit zur Gruppe überlebenswichtig. Die Angst vor sozialer Ausgrenzung ist daher tief in unserem Nervensystem verankert. Wenn wir „Nein“ sagen, aktiviert dies unbewusst archaische Ängste: „Werde ich noch gemocht werden? Gefährde ich meine Zugehörigkeit?“ Wir fragen uns, ob die Beziehung dem „Nein“ standhalten wird und haben Sorge, dass wir die Verbindung durch das Aussprechen einer Grenze kaputt machen.

Grenzen im Beruf spüren

Im beruflichen Kontext verstärken moderne Arbeitsstrukturen dieses Dilemma oft noch. In Teamarbeit und flachen Hierarchien verwischen die Grenzen zwischen Kollegialität und Übergriffigkeit. Die permanente Erreichbarkeit durch digitale Medien tut ihr Übriges – die Grenze zwischen Arbeits- und Privatleben verschwimmt zunehmend.

Innere Antreiber befeuern unsere Verhaltensmuster

Ein weiterer wichtiger Faktor ist das Selbstwertgefühl. Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl definieren sich oft über ihre Nützlichkeit für andere. Sie befürchten, abgewertet zu werden, wenn sie nicht immer funktionieren und zur Verfügung stehen. Besonders typisch ist dieses Muster für den sogenannten „People Pleaser“-Persönlichkeitstyp. Diese Menschen haben gelernt, ihre eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, um Konflikte zu vermeiden und Anerkennung zu erhalten. Die Haltung „hab mich lieb“ kann ein sehr starker innerer Antreiber sein.

In allen Grenzen ist auch etwas Positives.

Fallbeispiele: Wie du erfolgreich Grenzen im Beruf setzt

Paradoxerweise führt die ständige Selbstaufopferung jedoch nicht zu mehr Wertschätzung, sondern langfristig eher zu Überlastung, Burnout und dem Gefühl, ausgenutzt zu werden. Forschungen zeigen, dass Menschen, die klare Grenzen setzen, tatsächlich mehr Respekt erfahren und gesündere Beziehungen führen – sowohl privat als auch beruflich.

  1. Die Meeting-Flut eindämmen
    Sarah, Projektleiterin in einem IT-Unternehmen, stellte fest, dass sie durch ständige Meetings kaum noch zum eigentlichen Arbeiten kam. Sie entschied sich für einen klaren Ansatz:

    „Ich habe in meinem Team kommuniziert: ‚Ab nächster Woche blocke ich Dienstag- und Donnerstagvormittag als fokussierte Arbeitszeit. In dieser Zeit nehme ich an keinen Meetings teil, außer es handelt sich um echte Notfälle. Das ermöglicht mir, eure Anfragen und Projekte mit der nötigen Konzentration voranzubringen.‘ Statt mich zu entschuldigen, habe ich den Nutzen für das Team betont. Die Reaktion war überraschend positiv – einige Kollegen haben diese Praxis sogar übernommen.“
  2. Aufgaben delegieren ohne schlechtes Gewissen
    Michael, Abteilungsleiter in der Verwaltung, bekam regelmäßig Aufgaben zugeschoben, die nicht in seinen Verantwortungsbereich fielen:

    „Als die Marketingabteilung wieder eine komplexe Datenauswertung von mir verlangte, habe ich freundlich, aber bestimmt geantwortet: ‚Diese Analyse liegt außerhalb meines Aufgabenbereichs und meiner zeitlichen Kapazitäten. Ich empfehle, diese Aufgabe an das Business Intelligence Team zu geben – die haben sowohl die Tools als auch das Know-how dafür.‘ Ich blieb sachlich und bot eine konstruktive Alternative an, ohne mich in Rechtfertigungen zu verstricken.“
  3. Feierabend ist Feierabend
    Claudia, Beraterin in einer Unternehmensberatung, wurde regelmäßig nach Dienstschluss mit „dringenden“ Anfragen kontaktiert:

    „Ich habe für mich selbst eine klare Regel aufgestellt: Nach 19 Uhr beantworte ich keine beruflichen Nachrichten mehr. Statt mich jedes Mal zu erklären, habe ich eine freundliche Abwesenheitsnotiz eingerichtet: ‚Vielen Dank für Ihre Nachricht. Ich bearbeite E-Mails werktags zwischen 8:00 und 19:00 Uhr und werde Ihnen am nächsten Arbeitstag antworten.‘ Gleichzeitig habe ich dies im Team transparent kommuniziert: ‚Um langfristig gute Arbeit leisten zu können, trenne ich Berufs- und Privatleben konsequent.‘ Die meisten respektieren diese Grenze – und tatsächliche Notfälle sind selten.“
  4. Qualität statt Quantität
    Thomas, freiberuflicher Designer, bekam oft Anfragen mit unrealistischen Deadlines:

    „Ein Kunde bat mich um drei komplexe Designentwürfe ‚bis morgen‘. Statt in Panik zu geraten oder abzulehnen, bot ich eine Alternative: ‚Um die Qualität zu gewährleisten, die Sie von mir gewohnt sind, kann ich Ihnen morgen einen durchdachten Entwurf liefern. Für drei verschiedene Konzepte benötige ich fünf Arbeitstage.‘ Indem ich die Qualitätsfrage ins Zentrum stellte und eine realistische Alternative anbot, konnte ich eine für beide Seiten akzeptable Lösung finden.“

Wer seine Grenzen kennt, ist schon ein halber Weiser.

Grenzen setzen kannst du auch im Privaten üben

  • Wenn du das nächste Mal wieder in Hausarbeit versinkst und deine lieben Mitbewohner:innen (dazu zählt auch Familie 😉) aktiv weggucken, schmeiß das Handtuch bzw. den Putzlappen. Sage klar und deutlich, dass du nicht mehr bereit bist allein diese Arbeit zu machen. Es braucht dafür keine Rechtfertigung warum, wieso, weshalb. Ggf. macht ihre einen Haushalts- und Putzplan.
  • Du hast total Lust dieses neue Restaurant in deinem Viertel auszuprobieren, aber deine beste Freundin möchte lieber ins Kino. Dir fällt auf, dass sie oft etwas anderes möchte, als du und es meistens „nach ihrer Nase“ geht. Heute ist das anders. Es ist deine beste Freundin und du bist sicher. Sage, dass du keine Lust auf Kino hast und stattdessen lieber mit ihr reden möchtest – am liebsten beim neuen Italiener ums Eck.  
  • Dir fällt auf, dass du zum wiederholten Mal in einem Gespräch unterbrochen interpretiert wirst. Dir ist wichtig, dass du richtig verstanden wirst und so langsam steigt dein Puls. Erst einmal ein- und ausatmen und dann freundlich darauf hinweisen, dass du gern zu Ende reden möchtest und die Wahrscheinlichkeit hoch sein wird, das gesagte zu verstehen, wenn du es denn aussprechen könntest.

Praxisteil: Grenzen-Tagebuch

Diese Übung hilft dir, ein besseres Bewusstsein für deine persönlichen Grenzen zu entwickeln und sie schrittweise zu stärken.

Dauer: 5-10 Minuten täglich über zwei Wochen

Du brauchst: Ein Notizbuch und am besten deinen Lieblingsstift 😉 oder eine digitale Notizen-App

So gehst du vor:

  1. Beobachten (Woche 1):
    • Notiere jeden Abend Situationen, in denen du deine Grenzen überschritten fühltest.
    • Beschreibe kurz: Was genau ist passiert? Wie hast du reagiert? Wie hast du dich dabei gefühlt?
    • Frage dich: Was hätte ich eigentlich gewollt? Was wäre meine ideale Reaktion gewesen?
  2. Handeln (Woche 2):
    • Wähle täglich eine kleine Situation aus, in der du bewusst eine Grenze setzen möchtest.
    • Formuliere vorab, was du sagen möchtest – kurz, klar und ohne Rechtfertigung.
    • Führe diese kleine „Grenzsetzung“ durch und notiere anschließend:
      – Wie ist es gelaufen?
      – Wie hat das Gegenüber reagiert?
      – Wie hast du dich dabei gefühlt?
      – Was nimmst du für das nächste Mal mit?
  3. Reflexion (nach zwei Wochen):
    • Welche Muster erkennst du?
    • In welchen Situationen oder bei welchen Personen fällt es dir besonders schwer, Grenzen zu setzen?
    • Welche Formulierungen haben gut funktioniert?
    • Wie haben sich erfolgreiche Grenzsetzungen auf dein Wohlbefinden ausgewirkt?

Diese Übung hilft dir nicht nur, deine eigenen Grenzen besser kennenzulernen, sondern trainiert auch schrittweise deine „Nein-sage-Muskeln“ in einem selbstbestimmten Tempo.

Ich möchte für meine Bedürfnisse sorgen

Wenn du jetzt das Gefühl hast, dass du Unterstützung auf diesem neuen Weg der Veränderung brauchst, dann melde dich bei mir. Ein 1:1-Coaching kann genau richtig für dich sein.

Ich bin gern deine Sparringspartnerin, um ein paar knackige Abgrenzungssätze zu entwickeln, dir Feedback zu geben, wie deine Sätze zusammen mit deiner Energie auf mich wirken und den Stress herunter zu pegeln, der wahrscheinlich bei den ersten Freischwimmversuchen entstehen.