Ich höre und lese derzeit viel über Normalität in den Medien. Viele Menschen wünschen sich diesen Zustand wieder. Nur, wie ist dieser Zustand überhaupt und was hat das mit Achtsamkeit zu tun?
Was ist eigentlich Normalität?
Ich habe folgende Definition gefunden, die ich als Ausgangspunkt nehmen möchte:
„Normalität bezeichnet in der Soziologie das Selbstverständliche in einer Gesellschaft, das nicht mehr erklärt und über das nicht mehr entschieden werden muss. Dieses Selbstverständliche betrifft soziale Normen und konkrete Verhaltensweisen von Menschen.“
(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Normalit%C3%A4t)
Und schon war sie wieder da, die Frage: „Ist das die Normalität, von der Alle sprechen?“
Was bedeutet Normalität eigentlich für mich ganz persönlich? Und was wurde bzw. wird jetzt als Normalität bezeichnet? Nehmen wir den Zustand vor Beginn der Corona-Zeit wirklich als DIE Referenz?
Wenn ich auf diese Definition schaue, frage ich mich: Worüber haben wir vielleicht als Gesellschaft lange nicht mehr diskutiert, was haben wir als selbstverständlich hingenommen, wo unseren Kindern Zusammenhänge nicht mehr erklärt? Worüber meinen wir nicht mehr entscheiden zu müssen, weil doch jeder weiß, was die Norm ist?
Wirklich? Also, ich meine weiß das wirklich JEDE/R?
Oder haben wir vielleicht einiges einfach nicht mehr miteinander besprochen, weil es unbequem war? Weil wir uns zeigen und Stellung beziehen mussten und Angst davor hatten, nicht mehr akzeptiert zu werden mit dieser Meinung? Soziale Normen, die unser Zusammenleben, unsere Zusammenarbeit, überhaupt unser Miteinander regeln, sind wichtig und ebenso wichtig empfinde ich es, immer wieder zu hinterfragen, ob wir so leben wollen. Ich entscheide mich also immer wieder bewusst neu für diese Form der Kultur in unserer Gesellschaft, in unserem Unternehmen, in unserer kleinen oder großen Familie. Oder ich stoße eben die gewünschte Veränderung an oder höre auf zu meckern und gehe einen anderen Weg.
Das lässt sich auch auf den Arbeitsplatz übertragen. Oft halten wir mit der eigenen Meinung hinter dem Berg, weil wir nicht wissen, wie die ankommt. Wir haben Sorge, dass wir uns verletzlich zeigen, weil das als Schwäche ausgelegt werden könnte. Und einer der großen „Fehltritte“ im Business ist noch immer, wenn wir schwach wirken. Bitte??? Das ist mit mir jedenfalls nicht abgestimmt worden 😉 Trotzdem ist dies bisher in vielen Unternehmen noch die Normalität. Da steckt doch ein Versprechen in dem Wort „bisher“, oder?
Vielleicht ist diese Zeit vor und nach oder auch mittendrin in Corona eine Zeit des in Frage stellen und Umdenken. Diese Zeit, in der wir merken, dass die größte Konstante die Veränderung ist. Wie können wir das handhaben?
Achtsamkeit hat ein großes Potential in unsicheren Zeiten Stabilität zu geben.
Was ist denn Achtsamkeit?
Folgende Definitionen habe ich in zahlreichen Artikeln gefunden:
Achtsamkeit ist…
…eine Idee
…ein Konzept
…eine Bewusstseinsqualität
…ein Zustand von Geistesgegenwart
Vor allem aber bedeutet Achtsamkeit im Hier und Jetzt zu sein.
Für mich ist Achtsamkeit eine innere Haltung, in der ich präsent bin, mir bewusst bin, was gerade passiert und dieses Erleben nicht ständig kommentiere und bewerte, sondern mal nur beobachte. Ich bemerke sozusagen das Entstehen der Phänomene (z.B. Gedanken, Gefühle, Körperempfinden) selber und bewerte nicht ihren Inhalt. Außerdem sind Qualitäten wie Neugier, Neutralität, Gleichwertigkeit und Offenheit sehr hilfreich.
Die Gleichwertigkeit des Augenblicks.
Kein Augenblick ist normaler oder verrückter als der anderes, nicht besser oder schlechter. Der Augenblick ist, wie er ist. Manchmal dauert ein Zustand länger, als der andere oder wir empfinden ihn angenehmer oder unangenehmer. Alle Augenblicke reihen sich dann zu unserem Leben zusammen. Wir können Muster in diesen Zuständen entdecken, die uns bekannt vorkommen und unser Autopilot steuert immer wieder in die gleiche Richtung. Liegt dort unsere erhoffte Normalität?
Wenn uns der Autopilot bewusst wird, z.B. in der Meditation oder in einem Gespräch, dann haben wir die Chance auszusteigen und anders abzubiegen. Dazu muss es uns aber eben erst einmal bewusst werden. Das ist oft nicht so einfach in unserem lauten und hektischen Alltag.
Jeder Moment ist neu.
Kein Moment gleicht dem vorhergegangenen und auch der nächste Augenblick wird wieder anders sein. Veränderung geschieht in jedem Augenblick innerhalb und außerhalb unseres Körpers.
In unserer VUCA-Welt, wobei dieses Acronym für Komplexität, Mehrdeutigkeit, Unsicherheit und Unbeständigkeit steht, ist es gut, bereits im Kleinen mit dem Üben begonnen zu haben. Unser Gehirn prägt sich so die Erfahrung ein, dass es auch in diesem Erleben überleben kann. Das zahlt auf das Souveränitäts- und Gelassenheits-Konto ein. Wir werden durch die fortwährende Achtsamkeits-Praxis immer vertrauter mit Faktoren, die uns aus unserer Mitte bringen. Es gelingt uns, schneller wieder in die eigene Mitte zu finden oder auch erst gar nicht aus ihr herausgeworfen zu werden.
Nichts ist selbstverständlich.
Weder dass der Kollege die Arbeit für mich übernimmt, noch die Müllabfuhr, die meinen Müll wegbringt, der Partner, der das Essen zubereitet, dass ich einen auf Lebenszeit sicheren Arbeitsplatz habe, dass zu jeder Zeit ausreichend Hygienepapiere und andere Dinge vorhanden sind usw.
Machen wir uns einmal bewusst, in welchem Luxus wir leben. Dazu gehört für mich auch zu sehen, wie andere Menschen nicht einmal ihre Grundbedürfnisse befriedigen können.
Das ist nicht immer bequem. Das ist aber das größte Geschenk, was wir uns und anderen machen können – bewusst hinzuschauen und sich von dem Geschehen berühren zu lassen. Unser Mitgefühl und unser Engagement für die Sache und den Menschen zeigen. Dann können wir wieder neu entscheiden, wie wir sein wollen.
Living in a Box.
Ich behaupte, dass jeder Mensch in seiner eigenen Box lebt, wo er sich sehr behaglich eingerichtet hat. Mich übrigens eingeschlossen. Dort fühlen wir uns sicher und meinen die Kontrolle zu haben. WIRKLICH? Hält diese Box einem Sturm stand? Wie sieht es jetzt, in den Zeiten von Corona aus?
Ich erinnere mich noch an die Geschichte vom Wolf und den 7 Geißlein. Je nachdem, aus welchem Material das Haus gebaut war, wurde es komplett umgeblasen oder blieb am Ende eben auch stehen, weil es echt solide war.
Wie ist die Architektur deines Hauses? Worauf baust du dein Leben auf? Was ist deine vermeintliche Normalität?
Ich glaube, dass auch hier Achtsamkeit unterstützen kann, denn sie bietet Stabilität. Sie bietet immer ein Zuhause in sich selber und ist ein grundsolides Fundament, von dem aus wir hoch hinaus bauen können.
Wenn wir als Menschen in uns selbst stark und sicher sind, dann wirkt sich das auch auf unser Umfeld aus. Wir nehmen Geschehnisse nicht mehr allzu persönlich und müssen uns nicht verteidigen, denn wir wissen, wer wir sind.
Das führt in der Familie zu sehr harmonischen Partnerschaften und Eltern-Kind-Beziehungen. In der Arbeitswelt arbeiten Teams reibungsloser und effizienter und auch der Austausch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter ist weit angstfreier (von beiden Seiten übrigens), wenn beide Menschen in sich selbst ein Zentrum gefunden haben, von dem aus sie agieren.
Normalität ist nach meinem Empfinden kontextabhängig und unterliegt auch einer Veränderung. Je mehr wir akzeptieren, dass alles in Veränderung ist und wir einen großen Anteil daran haben können, wenn wir denn präsent, bewusst und auch mal neutraler Beobachter sind, desto weniger wird unser Leben zum Kampf um Kontrolle, Sicherheit und Macht.
Stattdessen wird sich Zufriedenheit, Gelassenheit und Freiheit einstellen. Die Freiheit, dein Haus genauso zu bauen, wie es dir entspricht. Wenn du nach einem Statiker bei deinem Umbauvorhaben suchst, unterstütze ich dich gern mit einem Veränderungs-Coaching.